Elfe - Kurzgeschichte
Mit einem verträumten Blick sah das Mädchen durch den älteren, grauhaarigen Mann, hindurch. Es kam ihm beinahe so vor, als ob sie ihn gar nicht registrierte. "Ich habe ihn gesehen..." von ihrer Stimme ging eine tiefe Befriedigung aus, die er sich nicht erklären konnte. "Du hast es Dir nur eingebildet!" widersprach er ihr, "in diesem Wald gibt es keine Elfen, wirklich nicht!"
"Ach!" der vorwurfsvolle Blick seiner Jüngsten traf ihn wie ein Faustschlag ins Gesicht, "nur weil mein ehrenwerter Vater noch keinen Elfen im Wald gesehen hat, gibt es keine. Du machst es Dir aber sehr einfach..."
"Valerian, bitte. Ich kümmere mich seit meiner Jugend um diesen Wald. Jeder Stein, jeder Baum, jedes Tier was in ihm lebt, kenne ich. Auch Elfen hinterlassen Spuren und dort, wo Du ihn gesehen haben willst... KOMM MIT!" Er packte sein Kind grob am Arm und zog es energisch mit sich, zu der besagten Stelle hin. "Und? Was siehst Du?" "Nichts!" erkannte Valerian enttäuscht.
"Und warum nicht?" fügte ihr Vater mit altklugem Tonfall hinzu."Das Gras müßte zertreten sein, aber weit und breit wuchert das wilde Grün noch oben. Hier stand niemand, schon seit Tagen nicht mehr." "Gut erkannt!" lobte sie der alte Waldläufer. "Ich glaube, dass Dir Deine Phantasie einen Streich gespielt hat!"
"Wird wohl..." missmutig gab sie sich geschlagen und starrte immer noch erwartungsvoll in das Dunkelgrün des Waldes. Wie gerne hätte sie doch einen echten Elfen gesehen.Ihr Vater schüttelte verächtlich seinen Kopf, "Kinder! Ihr solltet Euch nicht so oft zu den Gauklern und Barden setzen, diese Leute verdrehen einem schnell den Kopf und setzen Euch diese Flausen in den Schädel." Ein paar Schimpfworte brummend ging er wieder zum Dorf zurück.
Valerian stand immer noch verzweifelt am Waldesrand und spähte weiterhin angestrengt in den Wald hinein. Da! Löste sich dort, neben der jungen Eiche, nicht einer der dunklen Schatten? Für einen Moment vergaß Valerian zu atmen. Vor Freude rieb sie sich die Augen, um sich ganz sicher zu sein, dass dort wirklich ein Elf stand. "Wie heißt Du?" rief sie dem hellblonden Elfenjungen zu, doch dieser antwortete nicht. Er stand nur freundlich lächelnd zwischen zwei Birken und... ja, er winkte ihr zu! "Wenn Vater doch nur hier wäre..." Valerian hatte wieder diesen verträumten Blick aufgesetzt und hob ihre Hand schüchtern zum Gruß.
"Warte bitte... ich möchte Dir jemanden vorstellen. Bleibt bitte da!" Der schöne Elfenjüngling zögerte, doch dann nickte er stumm. Nach wenigen Minuten kam Valerian mit ihrem brummigen Vater zurück. "Schämt ihr Euch nicht, meiner Tochter die Augen zu verdrehen?" brüllte dieser unvermittelt den zierlichen Elf an. "Vater???" Valerians Augen glichen zwei riesigen Untertassen. Auch der junge Elf zuckte erschrocken zusammen. Mit gesenktem, schuldbewussten Blick trat er dem Waldläufer entgegen. "Aber ich..." begann er mit einer dünnen Stimme.
"Ihr seid kein Elf!" brüllte der Waldläufer weiter, "ich weiß nicht wer oder was Ihr seid... Ich will es auch gar nicht wissen! Wenn Ihr aber nicht sofort aus meinem Wald verschwindet und meine Tochter in Ruhe lasst, dann werde ich Euch solange jagen, bis Ihr meinem Schwert zum Opfer gefallen seid." wütete der Valerians Vater weiter und setzte sein grausamstes Lächeln auf. Wie versteinert stand der Elf da, er war noch nicht einmal fähig zu nicken oder eine andere Geste des Verstehens zu machen. "Verschwindet sofort von hier!" knurrte der Alte.
Er griff sich Valerian, stapfte wütend davon und achtete nicht weiter auf den Elfen, der langsam seine Gestalt veränderte. Die zierliche Kontur verschwand und der Mensch, der sich dahinter verbarg, wurde sichtbar. Das strahlend schöne Antlitz des Elfen zerschmolz zu einem säureverätzten Gesicht mit lichtem, weißen Haaren. Schließlich stand eine gedrungene Gestalt in einer roten Robe zwischen den Bäumen. "Ich wollte doch nur Euren sehnlichsten Wunsch erfüllen..." rief er den beiden leise hinterher.
Lediglich Valerian drehte sich daraufhin um und erkannte den Lehrling des Dorfillusionisten, der ihr immer schöne Augen machte. Und das, obwohl sie ihn wegen seiner hässlichen Fratze immerzu beleidigte.
Würde sie nie erfahren, warum er ihr diese Freude gemacht hatte, denn seitdem schien er spurlos verschwunden.
Autor: Andreas Fischer